Werkzeuge für Schreiberlinge

Schnell ist er entwickelt – der eigene Schreibstil. Mit ihm stellt sich die Routine ein, altbekannt ist schließlich altbewährt. Der amerikanische Coach und Journalist Roy Peter Clark gibt uns Tipps, wie wir aus diesem Trott wieder herausfinden. Denn jede Prokastination ist eine Chance für Kreativität. So kitzelt ihr wieder die Kraft aus der Sprache.

Clark wurde unter anderem dadurch bekannt, dass er zwanzig „Werkzeuge des Schreibens“ für die Poynter Website veröffentlichte. Es war ihm stets wichtig, dass seine Werkzeuge nicht als starre Regeln verstanden wurden. Vielmehr beschreiben sie eine Ursachen-Wirkungs-Beziehung.

Im Laufe seines Lebens hat Clark weitere „Werkzeuge“ hinzugefügt. Er veröffentlichte das Buch „Die 50 Werkzeuge für gutes Schreiben – Handbuch für Autoren, Journalisten, Texter“, das neben den Erläuterungen auch viele Schreibübungen enthält.

30 Werkzeuge hat er in einem Text für das Reporter-Forum aufgeschrieben. next media makers hat sie für euch ins Deutsche übersetzt. Die Liste enthält viel Altbekanntes und Selbstverständliches. Vieles wendet ihr sicherlich bereits an, aber eine schnelle Erinnerung kann nicht schaden. Und einiges wird euch neu sein. Also viel Spaß beim Lesen!

Sätze und Absätze

1. Beginnt Sätze mit Subjekten und Verben, alle anderen untergeordneten Elemente rücken weiter nach hinten. Selbst ein sehr langer Satz kann klar und kraftvoll wirken, wenn Subjekt und Verb seine Bedeutung früh hervorheben.

2. Verwendet Verben in ihrer stärksten Form: Präsens oder Vergangenheit. Starke Verben schaffen Aktion, sie sparen Wörter (und damit Platz) und offenbaren das Wesen der Protagonisten.

3. Hütet euch vor den Adverbien. In den meisten Fällen wiederholen sie die Bedeutung des Verbs oder verwässern sie. Beispiel: „Das Gebäude wurde vollständig zerstört.“

4. Platziert starke Wörter an den Anfang und an das Ende von Sätzen und Absätzen. Abschnitte wirken wie Stopp-Zeichen. Jedes Wort am Anfang und am Ende ruft „Sieh mich an!“.

Sprache

5.  Achtet auf „Wortgebiete“. Das bedeutet: Gebt Schlüsselwörtern ihren eigenen Platz. Wiederholt ein eindrückliches Wort nicht, außer ihr wollt damit einen bestimmten Zweck erreichen.

6. Spielt mit der Sprache, auch bei ernsten Geschichten. Wählt gebräuchliche Wörter, die selten in Nachrichtentexten vorkommen.

7. Sucht nach dem Konkreten und Spezifischen: dem Namen des Hundes oder der Biermarke. Details helfen den Lesern dabei, die Geschichte zu „sehen“.

8. Gebt euch nicht mit Klischees zufrieden, sondern sucht nach originellen Bildern. Macht dafür Wortlisten und bildet Assiziationsnetzwerke: Lasst euch von der Sprache überraschen.

9. Bevorzugt stets das Einfache über dem Technischen: Je komplizierter der Inhalt, desto kürzer die Wörter und Absätze.

10. Erkennt das Mythische, Symbolische und Poetische. Seid euch bewusst, dass die meisten Themen im Journalismus (Heimkehr, die Überwindung von Hindernissen, Verlust und Bewältigung) tief in der Kultur des Geschichtenerzählens verwurzelt sind.

11. Untertreibt bei den ernsten und schwierigen Themen. Übertreibt bei den lustigen Themen.

Effekte

12. Verlangsamt das Erzähl- und Informationstempo, um an Klarheit zu gewinnen. Kurze Sätze lassen den Leser langsamer lesen. Genug Zeit zum Nachdenken. Genug Zeit zum Lernen.

13. Kontrolliert das Erzähltempo, indem ihr die Satzlänge variiert. Lange Sätze ziehen den Leser in einen Erzählstrom des Verstehens, sie bringen ihn stetig voran. Oder tretet auf die Bremse.

14. Präsentiert und beschreibt. Bewegt euch auf und ab auf der Leiter der Abstraktion. Ganz unten stehen blutige Messer, Eheringe und Baseballkarten. Oben stehen bedeutsame Worte, wie „Freiheit“ oder „Bildung“. Vermeidet die Mitte, dort leben Bürokratie und Beamtentum, wo Lehrer als „Unterrichtseinheiten“ bezeichnet werden.

15. Kitzelt die Charakterzüge und Kraft der menschlichen Sprache heraus. Vermeidet Adjektive um Menschen zu beschreiben. Sagt nicht „enthusiastisch“ oder „gesprächig“, sondern nutzt eine Szene oder ein Zitat, damit die Person sich und ihre Eigenschaften dem Leser offenbart.

16. Kreiert die Illusion einer „Stimme“, so als spräche der Autor zum Leser. Lest die Geschichte laut vor, um zu hören, ob sie nach euch klingt.

Struktur

17. Nutzt die Möglichkeiten und Chancen des narrativen Schreibens. Denkt an Action, Komplikationen und Verstrickungen, Motivation, die Kulisse, Chronologie und Dialoge.

18. Tauscht die fünf W-Fragen aus: „Wer“ wird zur Figur, „Was“ wird Aktion, „Wo“ wird Kulisse und Setting, „Wann“ wird Chronologie und „Warum“ wird Motivation.

19. Platziert kleine Goldmünzen entlang des Pfades. Verfeuert nicht gleich eure besten Stücke am Anfang der Geschichte, sondern fügt während des gesamten Textes Spezialeffekte ein. Ermutigt den Leser, sie zu finden und sich an ihnen zu erfreuen.

20. Verwendet Zwischentitel, um die Geschichte für den Leser zu kennzeichnen. Für dieses Werkzeug braucht der Autor die Fähigkeit, die wichtigen Textteile zu finden und zu beschriften.

21. Wiederholt Schlüsselwörter oder Wortbilder, um die Teile der Geschichte miteinander zu verknüpfen. Wiederholungen wirken nur, wenn sie absichtsvoll eingesetzt werden.

22. Beim Storytelling hat die Anzahl der Beispiele eine Bedeutung: Eins erklärt, zwei teilen, drei umschließen, vier inventarisieren/erfassen.

23. Schreibt das Ende, um die Geschichte zu schließen. Legt dann eure Hand über den letzten Absatz und fragt: „Was würde passieren, wenn meine Geschichte hier enden würde?“ Sucht den natürlichen Endpunkt.

Das Leben des Schreibers

24. Verwandelt Prokrastination in eine Probe, eine Übung, eine Art Geschichten in eurem Kopf zu schreiben.

25. Macht aus jeder Geschichte einen Workshop in dem ihr Neues über euer Handwerk lernt.

26. Brecht lange Projekte runter auf mehrere Teile, teilt lange Geschichten in Kapitel auf.

27. Lest viel – sowohl für die Form, als auch für den Inhalt. Wer klarer schreiben möchte, sollte klare Geschichten lesen und herausfinden, was sie so verständlich und anschaulich macht.

28. Schafft euch ein Netzwerk aus Freunden, Kollegen, Redakteuren und Coaches, die euch Feedback zu eurer Arbeit geben.

29. Begrenzt eure Selbstkritik am Anfang einer Geschichte. Lasst ihr erst dann freien Lauf, wenn ihr die Geschichte überarbeitet.

30. Versucht sogar unangemessene Kritik an eurer Arbeit zu akzeptieren, um als Autor zu wachsen.

Diese Liste ist ein Werkzeug, kein Regelwerk. Sie ist außerhalb des Bereichs von richtig oder falsch, sondern bewegt sich auf dem Gebiet der Ursachen und Wirkungen. Sie ist der Schlüssel, um Geschichten freizusetzen und Schreibprobleme zu lösen.

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Quellen: Reporter-Akademie und Poynter.

Die 50 Werkzeuge für gutes Schreiben. Handbuch für Autoren, Journalisten und Texter. Von Roy Peter Clark. 350 Seiten, 22,99€. Autorenhaus Verlag.

Foto: @Kelly Sikkema