Bhagwan: Ein Guru in der Disco

Eine Geschichte in und über die Baggi-Osho-Disco in Hannover.

Die Oberfläche des weißen Tresens ist bereits jetzt klebrig – man spürt es an den Unterarmen. Dabei hat die Baggi-Osho-Disco erst vor einer halben Stunde ihre Türen geöffnet. Annika Müller* ist heute zum ersten Mal hier. Die 28-Jährige fängt an zu tanzen. Vor Jahrzehnten haben sich ihre Eltern hier kennengelernt. »Bis heute schwören meine Eltern, dass der Laden damals mal gechillt war. Aber ich weiß ja nicht – heute gehen die Leute schon so aufgestylt rein. Ich gehe lieber in Jeans und Turnschuhen feiern.«

Der Göttliche

»Es war damals schon etwas anders. Das Barpersonal ist in orange herumgelaufen, immer um Mitternacht haben sie die Tanzfläche gefegt und Walzer gespielt«, erinnert sich Annikas Mutter Birgit* am Telefon. Die orangene Kleidung war Markenzeichen der Sannyasins – so nannten sich die Anhänger der Bhagwan-Sekte, von denen die Baggi-Osho-Disco 1984 direkt hinter dem Hauptbahnhof Hannovers gegründet wurde. Die Sannyasins folgten dem indischen Guru Rajneesh Chandra Mohan, der sich selbst Bhagwan (»der Göttli- che«) und später Osho (»Lehrer«) nannte. In den 70er und 80er Jahren waren die Sanyyasins ein vertrauter Anblick in vielen Großstädten.

Emotionen über den Verstand

Ihr Guru versprach eine ganz neue Lebensphilosophie von grenzenloser Selbstentfaltung und freier Liebe. Doch zu Bhagwans Lehren gehörten auch umstrittene Praktiken, bei denen die Anhänger bei chaotischen Atemübungen die Emotionen über den Verstand stellen sollten. »Beobachte, was passiert, als wärest du ein Zuschauer, so als würde das alles nur im Körper geschehen, aber dein Bewusstsein schaut zu«, heißt es in einem seiner Lehrbücher, dem »Orangenen Buch« über »Oshos Dynamische Meditation«.

Problematisch dabei war die Abkehr vom Denken – und die damit völlige Ergebenheit dem Guru gegenüber. Weltweit gründeten seine Anhänger Diskotheken, Verlage, Yogazentren und sogar eigene Bäckereien im Namen Bhagwans. Der Guru wurde damit reich. Doch der Hype fand kein gutes Ende: Giftanschläge, Waffen, Mordversuche – am Ende wurde er aus den USA ausgewiesen.

Buddhas auf der Tanzfläche

In Hannover war damals nichts davon zu spüren. Birgit* erinnert sich: »Du bist nie gezwungen worden da mitzumachen. Jeder war willkommen und das war das Schöne.« In der Baggi erinnert heute nur noch wenig an die Sekte. Zwei Buddha-Statuen stehen auf der Tanzfläche und ganz hinten in der Garderobe lehnt ein Bild des Gurus. Vorn auf der Tür hat jemand ein kleiner Aufkleber »Angels welcome« geklebt – das ist heute wohl das Spirituellste an der Disco.

*Namen wurden zum Schutz der Protagonisten von der Redaktion geändert


Dieser Artikel ist Teil der Inszenierung »Notizen eines Hochstaplers« von next media makers und dem Büro für Eskapismus, die im Rahmen der Workshopreihe »Geschichten in Zement« am Kulturzentrum Pavillon Hannover entstand.

Spielbeschreibung: Die Redaktion von Hannover News ist alarmiert: Der Kollege Robert Wittig steht unter Verdacht einen Artikel gefälscht zu haben. Es geht um die Baggi-Osho-Disco, die vor 35 Jahren von Mitgliedern der indischen Bhagwan-Sekte in Hannover gegründet wurde. Stimmen die Anschuldigungen in Wittigs Artikel? Die Zeit ist knapp: Morgen ist Redaktionsschluss. Die Chefredakteurin bittet euch deswegen um Hilfe. Schlüpft in die Rollen der Praktikanten des fiktiven Magazins und begebt euch auf die Spur vom Hauptbahnhof bis zum Weißekreuzplatz. Notizen eines Hochstaplers verbindet  journalistische Recherche und Schatzsuche zu einem theatralen Outdoor-Spiel. Für das Spiel benötigt ihr ein internetfähiges Smartphone. Alles Weitere erhaltet ihr auf Anfrage an der Infothek des Pavillons. Spielbar: Mo und Do 11 – 19 Uhr, Di und Fr 11 – 17 Uhr, Sa 10 – 14 Uhr (nur innerhalb der Öffnungszeiten des Pavillons). Gefördert vom Fonds Soziokultur.